Künstliche Intelligenz (KI) ist nicht aufzuhalten – oder vielleicht doch? In der Praxis fehlt geschultes Personal für den Umgang mit KI. Mit zunehmender Verbreitung von KI-Anwendungen in der Produktion steigen gleichermaßen die Anforderungen an die betriebliche Weiterbildung der Mitarbeitenden, um die Technologie adäquat verwenden zu können. Lernen außerhalb des Arbeitsplatzes, beispielsweise in Form von Seminaren und Weiterbildungen, kann die spezifischen Anforderungen, die bei der Implementierung der neuen Technologie an einem Arbeitsplatz oder Prozess gefragt sind, nur unzureichend erfüllen. Am Mittelstand-Digital Zentrum Darmstadt wird daher an einem kognitiven Assistenzsystem gearbeitet, das den Mitarbeitenden direkt am Ort der Wertschöpfung die Grundlagen der KI vermittelt. Diese können dann am Arbeitsplatz unmittelbar genutzt werden.
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KI-Anwendungen in der Produktion – Was muss ich wissen?
Zahlreiche Innovationen in Algorithmik und Hardware ermöglichen ungeahnte Anwendungen von KI und ihrer Subdisziplin, dem maschinellen Lernen (ML). Gleichwohl, so zeigen Studien der vergangenen Jahre, erschließen sich produzierende Unternehmen die Möglichkeiten der KI-Anwendung nur unzureichend. Zwar erscheint das Thema KI zunehmend auf der strategischen Agenda von Unternehmen, die reale Umsetzung insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sieht jedoch anders aus. Nur ein geringer Anteil der produzierenden KMU setzt sich tatsächlich mit entsprechenden Anwendungen auseinander. Dies ist vor allem auf fehlendes Verständnis über die Möglichkeiten von KI-Applikationen, fehlende Informationstechnologien (IT) und zu geringe Datenbestände zurückzuführen.
Herausforderung: Woher kommen die KI-Experten?
Ein entscheidender Knackpunkt ist aber auch hier das Thema Fachkräfte. Trotzdem erfolgt ein Kompetenzaufbau durch Weiterbildung, Neueinstellungen oder externes Personal nur selten. Selbst wenn Mitarbeitende Schulungen besuchen, kann das dort Erlernte nur selten auf Problemstellungen im Unternehmen übertragen werden. In Zeiten von Fachkräftemangel stellt im Gegenzug die Akquise neuer qualifizierter Mitarbeitender mit KI-Know-how produzierende Unternehmen vor große Herausforderungen.
Deshalb ist es notwendig, neue Lernszenarien zu schaffen, bei denen Wertschöpfung und betriebliche Weiterbildung an einem Ort stattfinden. Ein solches Szenario wird in aktuellen Forschungsprojekten am Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) der TU Darmstadt entwickelt. Das Institut ist Teil des Mittelstand-Digital Zentrum Darmstadt und beschäftigt sich daher eingehend mit der Frage, wie der Mittelstand von KI profitieren kann.
Bild 1: Auswahl des Anwendungsfalls (hier prädiktive Instandhaltung) (Quelle: TU Darmstadt)
Auf Basis der so genannten Data Mining Methodology for Engineering Applications (DMME), einer Erweiterung des bekannten Cross-Industry Standard Process for Data Mining (CRISP-DM), wird ein kognitives Assistenzsystem geschaffen, welches produzierenden Unternehmen den Einstieg in KI-Anwendungen vereinfacht. Mitarbeitende können die Grundlagen und Bedarfe von KI-Lösungen dabei arbeitsintegriert erlernen und unmittelbar in der Praxis umsetzen. Das Assistenzsystem reagiert adaptiv auf die Eingaben der Nutzenden und setzt damit einen Fokus auf Inhalte, die konkret für einzelne Anwendungsfälle benötigt werden. Um Nutzenden notwendige Hintergrundinformationen mitzuliefern, wird auf digitale Lerninhalte zurückgegriffen, die in vorangegangen Projekten am PTW entwickelt wurden. Somit können – sofern Bedarf besteht – die hinterlegten theoretischen Grundlagen abgerufen werden. Damit erhalten Mitarbeitende problembezogen weiterführende Erklärungen über einzelne Schritte. Mitarbeitende des unteren bis mittleren Managements können so beispielsweise Wissen über verschiedene Algorithmen beziehen. Ebenso können sie Hinweise bei der Datenselektion bekommen oder können sich vor der Ergebnisbewertung über statistische Größen informieren.
Software-seitig wird zunächst spezifiziert, an welchem Produktionsprozess das Vorhaben realisiert werden soll. Das zuvor ermittelte Problem wird dafür technisch aufgegliedert. Anwendende werden unter anderem aufgefordert, die Konnektivität (USB, Ethernet, o.ä.) und Art der Datenspeicherung (auf internen Servern, auf Edge-Controllern oder in der Cloud) anzugeben. So können Lücken in der IT-Infrastruktur identifiziert werden und die Nutzenden werden aufgefordert, zielgerichtet Nachrüstungen vorzunehmen.
Darauf basierend legt das Assistenzsystem ein Augenmerk auf die Sensorik. Für unterschiedliche Anwendungsfälle und Bearbeitungsprozesse erhalten Anwendende die passenden Vorschläge zur Verwendung bestehender oder Nachrüstung zusätzlicher Sensorik. Beispielsweise macht das Assistenzsystem andere Vorschläge für KI-Anwendungen an einer Bandsäge als an einer Fräsmaschine. Im weiteren Verlauf werden Daten erhoben und vorverarbeitet. Hierbei wird explizit auf das Domänenwissen der Anwendenden zurückgegriffen.
Der Fokus des Assistenzsystems liegt auf der prädiktiven Instandhaltung, einer der am häufigsten realisierten Anwendungsfälle. Für das Modelltraining können Anwendende zwischen verschiedenen Algorithmen des so genannten überwachten Lernens auswählen. Auch hierzu erhalten sie bei Bedarf notwendige Hintergrundinformationen. Darauffolgend können sie gemäß der Logik der DMME Anpassungen am Modell, den Daten oder weiteren vorgelagerten Schritten vornehmen. Die unten aufgeführten Abbildungen zeigen das Vorgehen ausschnittsweise.
Abb. 1 zeigt die Auswahl des Anwendungsfalls. Im gewählten Anwendungsfall wird eine prädiktive Instandhaltung an einer Fräsmaschine vorgenommen. Die dargestellten Zielgrößen Wartungskosten und Wartungsdauer wurden durch die Anwender eigenständig als relevante Zielgröße identifiziert und definiert. In Abb. 2 wird dann das Ergebnis des Algorithmus dargestellt. Rot eingefärbt sind jene Bereiche, in denen ein hoher Verschleiß am Werkzeug ermittelt wurde und Wartung notwendig ist.
Bild 2: Ergebnis einer beispielhaften Identifikation von n.i.O. Werkzeugzuständen (Quelle: TU Darmstadt)
Komplexität der Einführung wird reduziert
Durch das Assistenzsystem werden Nicht-KI-Experten bei der Einführung einer KI-Lösung systematisch unterstützt. Auch wenn der vorherige Besuch einer Weiterbildung über KI-Anwendungen hilfreich ist, stellt er keine zwingende Voraussetzung dar. Nutzende müssen im Gegensatz zu bestehenden Unterstützungsformen lediglich Prozesswissen und Kenntnisse über Zuständigkeiten im Unternehmen mitbringen – ein Wissen, das sie durch ihre tägliche Arbeit in ausreichendem Detailgrad besitzen. Der hohe Bedarf an so genanntem informellem Lernen, der bei Einführung von KI-Anwendungen notwendig ist, wird durch die Verwendung des Assistenzsystems im Betrieb sichergestellt und damit die Komplexität des Einführungsprozesses in der Folge reduziert. Als Nebenprodukt zum erfolgreich umgesetzten Kompetenzaufbau haben Unternehmen eine verbesserte IT-Infrastruktur und sind im Hinblick auf Datenauswertungen besser aufgestellt, was wiederum ihre Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit erhöht – ein nicht zu unterschätzender Vorteil bei der Gewinnung neuer Mitarbeitender.
Sie interessieren sich für KI-Anwendungen in der Produktion, haben gegenwärtig das Ziel, eine KI-Lösung auf dem Shopfloor umzusetzen oder aber sind interessiert, wie das beschriebene Assistenzsystem in der Praxis aussieht? Dann scheuen Sie sich nicht, den Autor des Beitrags zu kontaktieren. Neue Anwendungsfälle aus der zerspanenden oder umformenden Fertigung werden gerne entgegengenommen.
Autor
+49 6151 8229-658
TU Darmstadt
Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW)
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KI wird endlich in der Breite nutzbar
Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Buzzword, das überall kursiert, aber noch nicht wirklich in der Praxis angekommen ist. Grund hierfür ist, dass die aufwändig berechneten KI-Modelle für spezifische Prozesse starr sind. Ändert sich ein Prozess, etwa weil andere Materialien verwendet werden oder ein Werkzeug verschleißt, kann sich das Modell nicht anpassen. Das wollen Forschende aus Hannover nun ändern und damit KI in breite Anwendung bringen.